Eine Kunst-Intervention im öffentlichen Raum | Limmatquai 2009-2015 | Jan Morgenthaler, Barbara Roth, Martin Senn, Fariba Sepehrnia

Medienkonferenz, 4. November 2009 - Prolog

Die Frage, ob die Stadt Zürich reif ist für einen Hochseehafen – oder: ob sie ihn verdient? –, hat die Menschen in den vergangenen Monaten sehr bewegt, empört, belustigt, angeregt. Die teils wuchtige Welle der Ablehnung ist inzwischen einer zumeist heiteren Gelassenheit und Vorfreude gewichen.

zürich transit maritim ist auf Kurs! Wir sind stolz und freuen uns, den interessierten Menschen in Zürich ein erstes Resultat unserer Arbeit vorzustellen. Es handelt sich um ein gewichtiges Objekt, das zugegebenermassen mehr Rätsel aufwirft als Fragen beantwortet.

Was ist geschehen? Wie ordnen wir es ein? Welches sind die Konsequenzen?

4. November 2009: Die Freilegung eines rostigen Hafenpollers an der verwitterten Schiffanlegestelle unmittelbar beim Haus Maison du lac (Limmatquai 16) ist ganz und gar ungewöhnlich. Das schwere gusseiserne Fundstück misst 70 x 70 cm, ist 61 cm hoch. Solche Poller sind nur an Quais zu finden, wo grosse Schiffe an- und ablegen. Hafenpoller dienen zu deren Vertäuung und sind fest im Boden verankert.

Zur wissenschaftlichen Einordnung dieses spektakulären Objektes – übrigens im bestuntersuchten Herzen der Stadt – hat zürich transit maritim zwei ausgewiesene Kapazitäten ihres Faches eingeladen.

Archäologe Dr. Andreas Motschi, Stadtarchäologie Zürich, konfrontiert das freigelegte Fundstück mit der über 2000 Jahre alten Hafengeschichte von und in Zürich. Die Bedeutung des Hafens für die Entwicklung der Stadt kann gar nicht hoch genug bewertet werden, wie das auch zeitgenössische Bilder illustrieren: Der Hafen hatte im Laufe der Jahrhunderte eine herausragende wirtschaftliche Bedeutung, aber auch städtebaulich einen dynamischen Einfluss auf die Skyline der Stadt. Der Flussraum als »Piazza« hat darüber hinaus bis heute eine starke soziale Funktion und Wirkung.

Die lange und wichtige Hafengeschichte ist durch wissenschaftliche Daten gesichert, der freigelegte Poller passt trotzdem nicht ganz ins archäologische Bild: Und zwar nicht nur weil in Zürich Schiffe früher meist an mächtigen Eisenringen befestigt wurden, auch die Grösse unseres Pollers sprengt jede vorstellbare Dimension eines Binnenhafens. Platzierung und Dimension der Zürcher Variante lassen zudem auf eine sehr grosse Anlegestelle schliessen, notabene für sehr grosse Schiffe! Vergleichbare Poller gibt es nur in Städten mit Hochseehäfen. Wo nämlich derart grosse Poller existieren, kann das Meer nicht weit sein. Mehr noch: Wo Meer ist, da sind Hochseeschiffe, da ist Handel und Wandel und wirtschaftliche Prosperität.

Tatsächlich: Prof. Wilfried Winkler, Geologe mit Spezialgebiet Sedimentologie und Beckenanalyse am Geologischen Institut der ETH Zürich, illustriert und belegt die Tatsache, dass die Region Zürich in der jüngsten Erdgeschichte bereits zweimal von Meeren überflutet wurde. Der Meeresboden war mit Konglomeraten, Sand und Silt bedeckt, was heute noch nachgewiesen werden kann. Seltener waren Muschelbänke. Im Meer lebten Haie, Rochen, Seekühe, Delfine, Wale, Muscheln und Wasserpflanzen.

Das Rätsel des freigelegten Pollers ist damit aber keineswegs gelöst. Im Gegenteil: Kontakt mit Meeren hatte die Region Zürich vor 35 Millionen Jahren, letztmals vor 17 Millionen Jahren. Damals gab es naturgemäss keine Schiffe, weil noch gar keine Menschen existierten.

Fazit: Das freigelegte Objekt ist aus wissenschaftlich-fachlicher Sicht rätselhaft.
Und es gibt zürich transit maritim Anstoss für eine vertiefte Forschung. Dabei könnte gut und gern eine neue Wissenschaft entstehen: die Archäologie der Zukunft! Ihre leitmotivische These: Wir finden in der Gegenwart nicht nur Zeugnisse einer grossen Vergangenheit. Wer aufmerksam ist, erkennt in den Sedimenten und Spuren der Zeit auch Vorboten einer überraschenden Zukunft!